Kurven
und Blicktechnik
In meinen
Anfangszeiten, haben mir langjährige Tourenfahrer versucht beizubringen, die
richtige Kurvenlinie zu finden. Ein Bekannter hat mir sogar eine ganz tolle Zeichnung
gemacht. Je mehr ich versuchte, danach zu fahren, umso weniger gelang es
mir, eine Kurve richtig rund zu kriegen.
Dann kam das Wochenende, an dem mein Bekannter unter heftigen Zahnschmerzen litt und
ich meine erste Solo-Tour antrat. Der Vorderreifen führte mich auf die
schwäbische Alb,
eine nicht gerade ebene Landschaft, in der die Orte etwas weiter auseinander
stehen und
nur wenige Fahrzeuge die Straße beleben. Ich hatte also genügend Ruhe, um
mich den Kurven widmen zu können. Und siehe da, ich kam der Sache etwas
näher.
1. Erkenntnis: Um Kurven zu üben, suche dir eine unbelebte Strecke
und fahre alleine. Dann hetzt dich keiner, es redet dir keiner drein und du
kannst dich ganz auf dich selbst konzentrieren. Vermeide Experimente, die
dich in gefährliche Situationen bringen könnten. Fahre eine Kurve ganz
langsam an und versuche, sie so gut (nicht so schnell!) als möglich zu
durchfahren. (Das Tempo kommt erst dann, wenn du prinzipiell mit Kurven
zurechtkommst!)
Den nächsten Tipp bekam ich aus dem Buch von Bernd Spiegel, "Die
obere Hälfte des Motorrades", der sich sehr ausführlich dem
Kurven fahren widmet. Das Wichtigste für den Tourenfahrer ist es, die
sicherste Linie zu fahren, das heißt eventuell ein Bremsmanöver ansetzen zu können und
genügend Reserven für Ausweichmanöver zu haben.
FALSCH:
Hier wird die Kurve früh angesetzt, der Scheitelpunkt (S) liegt in der Mitte
der Kurve. Am Kurvenausgang kämpft man, um sprichwörtlich "die Kurve noch zu
kriegen". Geht es schief, kommt man auf die Gegenfahrbahn oder landet in der
Vegetation.
RICHTIG:
Langsam und spät in die Kurve einlenken. Zur Innenseite des Fahrstreifens
ziehen. Der Scheitelpunkt liegt weiter hinten. Und die Kurve ist geschafft,
noch ehe sie zu Ende ist.
2. Erkenntnis: Die Kurve langsam anfahren und spät einlenken. Siehe da,
es funktioniert! Wenn man den ersten kleinen Bogen hinter sich hat, kann man
wieder vorsichtig Gas geben - vorausgesetzt, du hast die Kurve nicht schon
an oder über dem Tempo angefahren, mit dem du zurecht kommst.
ACHTUNG: Auf dem 2. Bild berührt die rote Linie fast die schwarze. In
der Praxis wäre so eine Spur nur dann möglich, wenn die Fahrbahn blitzblank
und am Rand keine Gegenstände (Pfosten, Zäune etc.) vorhanden wären - doch
mit so einem Straßenzustand ist wohl auf keiner öffentlichen Straße zu
rechnen.
3. Erkenntnis: Diese Ideallinie ist wirklich eine feine Sache - wären
da nicht ...
- die Breite eines Motorradfahrers
in der Kurve,
- Rollsplitt,
- Straßenverschmutzungen und
- nachfolgende Fahrzeuge.
So nah wie auf dieser Zeichnung darf
höchstens dein Kopf, nicht aber der Reifen dem Fahrbahnrand kommen, denn in
Schräglage wird ein Motorradfahrer fast so breit wie ein PKW - was speziell
in Linkskurven gefährlich werden kann, da die obere Hälfte des Motorrades
dann in die Fahrspur des Gegenverkehrs ragt.
Außerdem ist besonders auf kurvigen Strecken immer (auch noch im
Hochsommer!) auf der Seite oder in der Mitte der Straße mit vom Winter oder
von der letzten Streckensanierung zurückgebliebenem Rollsplitt zu rechnen.
In der Mitte der Fahrspur findet sich manchmal ein dunkler Streifen: Öl oder
sonstiges schmieriges Zeugs, ein totes Tier oder Kuhfladen. Beim langsamen
Anfahren der Kurve querst du ihn relativ gefahrlos. Am Ausgang der Kurve ist
in der Ideallinie auch deine Sicht weit genug, um dich auf Gefahren
einstellen zu können.
In einer Rechtskurve macht der nachfolgende Verkehrsteilnehmer (nennen wir
ihn Autofahrer) wenig Probleme. Kritisch wird er in der Linkskurve, in der
du ja zunächst nach rechts schwenkst, um dann zum Scheitelpunkt nach links
zu ziehen. Der Autofahrer, dem eine Ideallinie ja egal ist, könnte hier dem
Glauben verfallen, du schwenkst nach rechts, um ihn vorbei zu lassen. (Alles
schon erlebt!) Dann knallst du ihm natürlich voll in die Seite, wenn du sein
Überholmanöver nicht rechtzeitig checkst.
4. Erkenntnis: Vor der Kurve in die Rückspiegel schauen!
Blicktechnik
Kann man gut bei einem Sicherheitstraining unter der Aufsicht eines
Instruktors oder auf einem unbelebten Parkplatz mit Freunden üben. Meist
merkt man selbst nicht, wie oft sich der Blick bei der Fahrt knapp vor dem
Vorderreifen in den Straßenbelag bohrt.
Es ist schwer, eine allgemein gültige Angabe zu machen, wie weit man
vorausschauen soll, ist doch gerade in einer Kurve vieles abzuchecken. Ich
habe da einen einfachen Satz, den ich zu meinem Motorrad sage: "Dort wollen
wir hin!" und ich schaue dabei so weit wie möglich in die Kurve hinein. Und
siehe da, es fährt tatsächlich dorthin!
Angstkurven ...
nennte ich sie und meine damit Kurven, die vom Verlauf her gar nicht so
schlimm sind, die man aber immer mit einem unguten Gefühl und unsicher fährt
oder rechts der Fahrbahn befindet sich eine hohe Steinmauer, die den Blick
anzieht - dort hinein will man nicht fahren! Und wohin man schaut, dort
fährt man hin. Im Gehirn läuft dann irgendetwas unrund.
Wenn man seinen Blick ganz bewusst weg von der Mauer nach links lenkt und sie
völlig ignoriert, fährt sich die Kurve ganz einfach.
Ebenso können Leitschienen, Mauern, Gräben oder anderes am Straßenrand den
Blick anziehen. Hast du auch so eine "Angstkurve", dann prüfe, ob sich dort
etwas befindet - wenn ja, hast du das Problem gelöst: Einfach nicht
hinschauen, sondern den Kurvenausgang fixieren und denken: "Dort wollen wir
hin!"

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