Nun ja, über 280 kg unter dem Hintern ist auch das erste Mal für mich. Nach einer
ersten Begutachtung drauf gestiegen, Choke gezogen und den Anlasser betätigt.
Ja, klingt definitiv besser, als eine Nähmaschine oder ein Rasenmäher für
Balkonbeete wie bei den anderen Motorrädern noch üblich. Ein gesundes tiefes Blubbern,
wie es sich für einen 1-Liter Horizontalstrampler aus dem Hause BMW so
geziemt. Die mahnenden Einfahrempfehlungen vor Augen, fing meine Dicke an zu
rollen. Der erste Eindruck: eine sehr bequeme Sitzposition, weiche Federung
und gleich die erste Ungepflegtheit.
...
Die Blinkschalter
Das jeder Blinker auf der jeweiligen Seite zu betätigen ist, damit kann
ich leben, aber dieser einfach nicht zu bedienenden Ausschalter –
unglaublich. OK, gebe ja zu bisher nicht R1100RT geschädigt zu sein und dies als
ein Novum zu erleben, aber hat einer der Konstrukteure von BMW jemals die
Kiste selbst gefahren?? Wohl kaum ... Selbst heute nach vielen Kilometern gelingt es
mir nicht immer den Ausschalter beim ersten Mal zu erwischen. Dafür gibt es
wahrscheinlich mehrere Gründe. Die Position ist ausgesprochen unglücklich,
man muss den Daumen deutlich nach oben verdrehen um an den Schalter zu
kommen, wahrscheinlich sind auch meine Finger zu lang (ich drücke immer zu
nah an dem Kipplager). Mit Sicherheit wollte BMW vermeiden ein perfektes
Motorrad zu bauen, hat deshalb alle Hinweise von R1100RT Fahrern in den Wind
geschlagen. Irgendetwas muss es ja auch weiterhin zu verbessern geben...
... Die Hupe
Beim Ausschalten des Blinkers kann ich mich damit ja gegebenenfalls noch
arrangieren, bei der Hupe ist das vergleichbare Problem (gleicher Schalter
auf der linken Seite) ein echtes Sicherheitsrisiko. Bisher habe ich, anstatt
des Blinkers bereits unabsichtlich 3 mal die Hupe betätigt, aber als ich sie
benötigte ist dafür der linke Blinker angegangen. Da hört der Spaß ein wenig
auf. Der geneigte Leser mag nun voreilig Schlüsse über meine motorischen
Fähigkeiten ziehen, ich persönlich halte selbige allerdings für durchaus
durchschnittlich und empfinde deutliche wie auch berechtigte Kritik am
Design der Bedienelemente.
... Das Getriebe
Nun, wo ich mich gerade über technische Details auslasse. Das
Fünfgang-Gang
Getriebe überzeugt durch eine, wie ich persönlich finde nicht gerade exzellente
Abstimmung. Nicht gerade für eine Rennmaschine ausgelegt, umso entspannender
jedoch für den Tourenfahrer. Der fünfte Gang ist kein echter Gewinn, hohe
Laufruhe aber noch einmal richtig Drehmoment aus dem Drehzahlkeller. Die
R1100RT lässt sich im fünften Gang mit Freude schon bei 2500 U/min fahren.
Immerhin haben einige Dekaden Erfahrung in der Entwicklung beim Getriebebau BMW
nicht dazu verleiten können, beim Einlegen des ersten Ganges das typische
Geräusch von einer Rangierlok, die 150 m voll beladene Kohlewaggons
ankuppelt, abzustellen. Schon eine beachtliche Leistung. Jeder BMW Fahrer
kennt die mitleidigen Blicke anderer (selbst Nichtmotorisierter)
Verkehrsteilnehmer an der Ampel beim Runterschalten in den zweiten oder ersten
Gang respektive dem Einlegen des ersten Ganges im Leerlauf (so dies denn
überhaupt gelingt). Wie glücklich kann man sich da bereits schätzen andere
zweirädrige Leidensgenossen eines Fahrzeugs gleicher Bauart neben sich
stehen zu haben. Selbige schauen, wohl wissend um die Ursachen der
Lärmbelästigung, nur schmerzerfüllt und peinlich berührt auf den eigenen
Drehzahlmesser. Umso bitterer für den Besitzer der Übersetzungsraspel, wenn
von der gegenüberliegenden Straßenseite eine tief dekoltierte Schönheit
"Schöne Grüße vom Getriebe" ausrichtet. Ein entscheidender Grund, warum
demnächst ein schwarz getöntes Helmvisier zu meinen Errungenschaften gehören
wird, erspart mir selbiges doch das öffentliche Zur Schau stellen von
Schamesröte in der Pole Position. Der Effekt wird aber noch übertroffen von
anderen "Feinheiten" des Übersetzungswunders. In regelmäßigen Abständen
verweigert selbiges gänzlich den Zugriff auf den ersten Gang. Dieses, vom
Laien manchmal fehlerhaft als Charakterstärke interpretierte Verhalten,
führt beim Anfahrmanöver an roten Ampeln häufig zu Verblüffung der hinter
der BMW stehenden Autoschlange. Anstatt, wie die Optik der R1100RT scheinbar
vermuten lässt, spurtschnell die Startblöcke zu verlassen, sieht der
unbeteiligte Beobachter plötzlich einen wild agierenden R1100RT-Fahrer beim
Versuch die R1100RT doch zur Fortbewegung zu verleiten. Der erste Gang will
nämlich in einigen Situationen partout nicht eingelegt werden wollen.
Selbige Manöver können sich darauf beschränken die Kupplung mehrfach zu
ziehen und auf das Glück des Tüchtigen zu hoffen. Effektiver ist es manchmal
den Bock ein wenig nach vorne zu schieben, um der Erinnerung des Getriebes
an seine Aufgabe nachzuhelfen. Ebenso effizient kann das konstante Belasten
des Schalthebels beim gleichzeitig langsamen Loslassen der Kupplung sein. In
diesem Fall ist eine Runde Getriebetechno garantiert. Alles in allem recht
unbeholfene Manöver, um 250 kg + Besitzer schneller als
Schrittgeschwindigkeit werden zu lassen. Ich lebe zugegebenermaßen permanent
mit der Angst, das mir beim nächsten Getriebeölwechsel eine Tüte Zahnräder
aus dem Ölablass purzeln. Für einen Menschen mit auch nur einem Quäntchen an
mechanischem Verständnis und Einfühlungsvermögen ein unerträglicher Zustand.
Auf meinen Touren begleitet mich der Wunsch nicht stehen zu bleiben und ein
Doppelpack Taschentücher – es bricht mir einfach das Herz, Tränen lassen
sich nicht zurückhalten.
... Die Ausstattung
Aber genug gewinselt! Kommen wir zu den Highlights. Der
R1100RT ein
zweites Auge zu spendieren war sicherlich ein weiser Entschluss der
Hersteller. Meine Dicke sieht jede Kurve kommen und schmeißt sich mit
ungewohnter Freude selbst hinein. Trotz der über 280 kg, die man im übrigen beim
Fahren überhaupt nicht spürt, bleibt sie gutmütig und in jeder Situation
beherrschbar. Beifahrer werden kaum wahrgenommen, vorausgesetzt, sie hampeln
nicht wie ein Verkehrspolizist auf dem Sozius herum. Einzig die recht große
Entfernung zwischen Beifahrer und Fahrer ist bedauerlich, vermeidet sie doch
den manchmal recht wünschenswerten Körperkontakt bei weiblicher Begleitung
J
. Erfreulich auch die neuen Spiegelverkleidungen, die gleichzeitig als Handprotektoren
dienen. Geld
sollte in einen abschließbaren Ölstopfen von Touratech investiert
werden (mein Gott, wo haben die Entwickler von BMW denn da wieder das Hirn
versteckt gehabt). Mir kann kein Mensch mit mehr IQ als ein getrocknetes
Toastbrot erklären, das bei mehreren tausend Euro Gesamtkosten keine 5 Euro
(Herstellungskosten) für einen abschließbaren Ölstopfen drin gewesen sind.
Und wieder stelle ich fest, das die Entwickler offensichtlich in Ihrem Leben
niemals ein Motorrad bewegt haben.